Das Flüchtlings-Thema wird uns die nächsten Jahrzehnte begleiten – hitNews – Mai 2015

Mit freundlicher Genehmigung der hitNews.

 

Open-Arms-Projektleiterin Birgit Rajski über die veränderte Art von kriegerischen Konflikten in Krisengebieten, die gesellschaftliche Verantwortung Deutschlands, und warum die Flüchtlingsströme für den Arbeitsmarkt ein großer Segen sind.

hitNews: Frau Rajski, die Initiative Open Arms ist gegründet worden, um die Flüchtlingsarbeit zu unterstützen. Warum betrifft dieses Thema uns alle so stark?

Birgit Rajski: Natürlich aus einem Gefühl der Verantwortung heraus. Deutschland ist keine Insel, sondern Mitglied einer Weltgemeinschaft, das seinen Beitrag zu leisten hat, wenn es irgendwo kracht. Das tun wir aber noch viel zu wenig. Es gibt 50 Millionen Flüchtlinge auf der Welt, nur 0,3 Prozent davon kommen nach Deutschland; zu einem nicht unwesentlichen Teil übrigens die Eliten. Deshalb ist die Situation für uns keine Bedrohung, sondern sogar eine große Chance. Mit Hilfe der Flüchtlinge könnten wir in Zukunft die fortschreitende Überalterung unserer Gesellschaft und den damit einher gehenden Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt abpuffern.

hitNews: Sie gehen davon aus, dass die Flüchtlinge nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft in Deutschland bleiben?

Rajski: Ja. Und das Thema wird uns nicht nur in den kommenden Jahren, sondern in den nächsten Jahrzehnten begleiten. Der Grund dafür ist, dass sich die Art der Konflikte in der Welt verändert hat. Früher gab es Kriege zwischen Staaten, die – so schlimm das war – auf eine Lösung zusteuerten. Dann gab es irgendwann einen Friedensvertrag und man konnte zurückkehren und beginnen, das Land neu aufzubauen.

hitNews: Und heute?

Rajski: Ist es anders. Die meisten Kriege sind Stellvertreter-Konflikte zwischen Religionen und Volksgruppen innerhalb verschiedener Länder, an deren Fortführung die großen Staaten sogar noch ein Interesse haben und sie mit Waffenlieferungen unterstützen. Haben Sie noch eine Meinung, wer in Syrien die Guten und wer die Schlechten sind? Ich nicht. Und wenn dann in diesen Regionen der Krieg irgendwann vorbei sein sollte, wird es Staaten wie Syrien oder den Irak in ihrer alten Erscheinungsform gar nicht mehr geben. Das bedeutet: Wenn man aus diesen Ländern flüchtet, gibt es keine Perspektive für eine Rückkehr.

hitNews: Wie sollte ein Land wie Deutschland konkret auf die Situation reagieren?

Rajski: Es ist an der Zeit, dass wir uns richtig verhalten. Mein Eindruck ist, dass die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung deutlich gestiegen und die Stimmung positiver ist. Wir müssen aber jetzt auch die Weichen dafür stellen und beispielsweise Gesetze der aktuellen Situation anpassen.

hitNews: Was bedeutet das?

Rajski: Wir müssen den Leuten, die zu uns kommen, die Möglichkeit geben, bei uns legal zu leben und zu arbeiten. Das gilt sowohl für politische Flüchtlinge als auch für Menschen, die nach Deutschland kommen, weil sie glauben, hier überhaupt oder eine bessere Arbeit als Zuhause zu finden. hitNews: Sie meinen also neben Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak auch diejenigen, die etwa aus Osteuropa nach Deutschland kommen und hier auf Arbeit hoffen. Rajski: Die so genannten Wirtschaftsflüchtlinge, ja. Dieses Wort wird heutzutage ja wie ein Schimpfwort benutzt. Dabei ist es überhaupt nichts Ehrenrühriges, wenn man in ein anderes Land geht, weil man sich dort bessere Arbeitsbedingungen erhofft. Arbeitsmigration gibt es seit Jahrhunderten. Selbst in der Antike war es völlig normal, dass man dorthin zog, wo man sich Arbeit und einen gewissen Wohlstand erhoffen durfte. Wir dürfen diese Menschen nicht wie Illegale behandeln.

hitNews: Ist das auch Ihre Motivation, die Leitung der Open Arms gGmbH zu übernehmen – aktiv zu helfen, die Situation zu verbessern?

Rajski: Ja. Und mich hat die Initiative der Familie Birkel beeindruckt, dass ein Unternehmer so etwas macht, ohne davon direkt zu profitieren, ist offenkundig eher die Ausnahme als die Regel. Für mich entspricht dieses Handeln dem klassischen Bild des Unternehmens-Patriarchen, der sich neben seinem Geschäft auch darum kümmert, dass es den Menschen in seinem Umfeld und in seiner Stadt besser geht.